Heute freue ich mich riesig über einen Gastartikel von Alexander Schillack. Als Verhaltensberater für Hundebesitzer  mit Sitz in Wuppertal hat er sich auf die Kommunikation von Hunden und sozialen Beziehungen zwischen Mensch und Hund spezialisiert.

Auf seiner Patreon Seite lässt er interessierte Hundehalter mit wöchentlich erscheinenden Videos an seiner Arbeit teilhaben. Aber auch auf seinem Instagram Profil erhält man viele nützliche Tipps. Also unbedingt reinschauen 🙂

 

Aber nun: viel Spaß beim Lesen!


Gestresste Vierbeiner – Wie Stress den Alltag unseres Hundes beeinflusst & wie wir richtig damit umgehen

Alexander-Schillack-Gastbeitrag-Stress-bei-Hunden

Ich und Balou im Jahr 2013: 16 Uhr, die Nachmittagsrunde steht an. Ein Hund kommt uns beiden entgegen. Er fixiert Balou aus der Ferne, sein Gang verändert sich zu einem Schleichen und er behält Balou genau im Blick. Balou reagiert prompt und angespannt auf die Situation. Kurze Zeit später hängen beide Hunde in der Leine und bellen sich an. Ich ziehe Balou weiter und wir gehen aus der Situation heraus. Ich schenke dem Ganzen keine große Beachtung. Dass Balou andere Hunde anbellt und schnell in eine große Erregung gerät, ist bei uns bereits nach einem halben Jahr Zusammensein Alltag. Damals tue ich Balous Verhalten noch einfach ab „Auch Hunde haben schlechte Tage. Balou ist dann nur mit dem falschen Fuß aufgestanden, weil er wirklich jeden Hund und manchmal auch Menschen anbellt, die uns draußen begegnen.“

Gut sieben Jahre später bin ich etwas schlauer und habe – im Kontext meiner Arbeit als Verhaltensberater – weiterhin täglich mit dem Thema Stress zu tun. Stress ist für viele Hundebesitzer ein kaum beachtetes Thema. Im Grunde ist es aber wie bei uns Menschen auch. Viele Menschen sind heute aus den unterschiedlichsten Gründen gestresst: durch den Job, sogenannten „Freizeitstress“, ständiger Beschallung durch Medien, Verkehrslärm etc.. Doch den meisten wird ihr permanenter Stresspegel erst bewusst, wenn es zu Folgeschäden kommt – Kopfschmerzen, Augenzucken, Zähneknirschen, Verspannungen bis hin zu ernsthaften Folgen wie einem Burnout.

Ähnlich geht es auch unseren Hunden. Im Unterschied zu uns können die Tiere allerdings nicht einfach verbalisieren, dass sie sich gestresst fühlen. Die Folge ist, dass Hundehalter erst richtig aufmerksam auf die Stresssymptome ihrer Vierbeiner werden, wenn sich bereits handfeste Symptome zeigen. Diese Symptome äußern sich beim Hund meist durch Verhaltensveränderungen wie zB. Apathie, Aggressionsverhalten oder stereotypen Verhaltensweisen.

Aus Sicht eines Verhaltensberaters ist es wichtig, zwischen chronischem Stress und akutem Stress zu unterscheiden. Akuter Stress einer gewissen Intensität gehört zum Leben dazu, ist sogar notwendig und gut. Evolutionsbiologisch gesehen hatte die Ausschüttung von Stresshormonen in akuter Bedrohungslage einen Lebenssichernden Sinn und Zweck.

Ist der Stress jedoch zu hoch oder wird chronisch, das heißt bleibt dauerhaft erhalten, kann es zu ernsthaften Verhaltensstörungen kommen.

Ich habe viele Kunden im Training, die bereits etliche Trainingsansätze durchprobiert haben, ohne aber dabei dem wahren Kern des Problems auf dem Grund gekommen zu sein. In manchen Fällen ist den Haltern nicht einmal klar, dass ihr Hund stressbedingt ein bestimmtes Verhalten zeigt. Aus meiner Erfahrung als Verhaltensberater kann ich sagen, dass bei vielen Trainingsansätzen allzu oft nur rein symptomatisch behandelt wird, als der eigentlichen Ursache des Problems auf den Grund zu gehen. Ich erachte es daher als sehr wichtig, dass sich Hundehalter in Grundzügen mit dem Stresssystem des Hundes auskennen.

Schauen wir noch einmal auf die eingangs beschriebene Situation mit Balou. Was passiert in so einer Situation im Hund, wenn er auf einen Stressor (ein stressauslösender Reiz) trifft?

Wieso zeigt der Hund Stresssymptome?

Balou ist ein unsicherer Hund, der vor allem bei frontalen Hundebegegnungen an der Leine Probleme hat. Normalerweise haben Hunde das Bestreben, frontale Hundebegegnungen zu vermeiden. Lässt man sie, bleiben Hunde oft stehen, gehen einen Bogen, wollen Zeit gewinnen, um ihr Gegenüber einschätzen zu können. Dazu zeigt der Hund häufiger Beschwichtigungssignale, um sein Gegenüber davon zu überzeugen, dass keine Gefahr von ihm ausgeht. An der Leine fehlen dem Hund häufig die Möglichkeiten, auszuweichen oder stehen zu bleiben, da wir Menschen dazu neigen, den für uns bequemsten Weg zu gehen und den Hund einfach weiter zu ziehen. Gerade das Ziehen an der Leine führt zu einem permanenten Druck am Halsband oder Geschirr. Der Hund kann diesen permanenten Druck wie folgt verknüpfen: „Du bist an der Leine und kannst dich nicht so bewegen, wie du gerne möchtest“.

Kurzum: Der fehlende Freiraum führt zu Unwohlsein, der Hund versucht, die Situation eher zu vermeiden. Da Flucht als Lösungsstrategie wegfällt, bleibt nur die Flucht nach vorn, die zu einem (Schein-) Angriff führen kann, um den anderen Hund zu vertreiben. Da diese Strategie äußerst erfolgsvorsprechend ist – wer nähert sich schon gern einem Hund, der wild bellend in der Leine hängt – wird das Verhalten als erfolgreich abgespeichert und wieder und wieder gezeigt. Wir sprechen in so einem Fall von einer sogenannten vermeidungsorientierten Aggression.

Aktives und passives Stresssystem

Während so einer Situation aktiviert der Hund vor allen Dingen sein aktives Stresssystem und schüttet Adrenalin aus. Aber auch das passive Stresssystem schaltet sich ein und produziert das Hormon Corstisol. Adrenalin kennen wir alle. Wir greifen nach einem Glas im Schrank, es fällt heraus und wir können es gerade noch auffangen. Schon haben wir eine kleine Dosis Adrenalin im Blut. Minuten später merken wir nichts mehr von dem kurzen Vorfall, als wäre nichts passiert. Der Adrenalinspiegel fällt so schnell wieder, wie er gekommen ist (genau genommen nicht genau so schnell, aber sehr zügig). Cortisol auf der anderen Seite bleibt lange im Blut. Hat der Hund keine Möglichkeit, aktiv Stress abzubauen, kann es sein, dass der Stressauslöser noch bis zu zwei Tage Auswirkungen auf das Verhalten des Hundes hat. Minutenlange Leinenaggressionen sind definitiv eine solche stressige Situation, die deshalb auf jeden Fall vermieden werden sollte.

Andernfalls schüttet der Hund bei der nächsten – und wenn auch nur leicht – stressigen Situation wieder Stresshormone aus und das „Fass“ läuft direkt wieder über, weil der Hormonpegel zwischen den beiden Situationen kaum sinken konnte. Ein gutes Stressmanagement gehört deshalb zu den essentiellen Werkzeugen eines jeden Hundebesitzers.

Stressmanagement

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, Stress zu begegnen. Gleich vorweg: Vor Pauschalisierungen sollte man sich in jedem Fall hüten. Es ist vielmehr wichtig, individuelle und auf den eigenen Hund angepasste Maßnahmen zu ergreifen/erarbeiten, die nicht in jeder Situation gleich sein müssen.

Meiden ist eine Möglichkeit, den Hund zu entstressen, aber eigentlich kein aktives Stressmanagement. Ich möchte es hier dennoch nennen. Mit Meiden meine ich vor allem die Fernhaltung von Stressoren. Ich zB muss mit meinem Hund immerzu durch ein Wohngebiet, um in den Wald zum spazieren gehen zu gelangen. Hier begegnet mein Hund vielen Reizen, die unter normalen Umständen kein Problem für ihn sind. Hatte er aber eine besonders stressige Situation, reagiert er auf den kleinsten Reiz mit einer heftigen Stressreaktion. Meine Lösung: Ich wähle eine andere Route, um das Wohngebiet zu vermeiden. So kommt er gar nicht in die Situation, neuen Stress aufzubauen und kann sich langsam aber sicher wieder beruhigen. Meiden ist jedoch immer nur eine kurzfristige Lösungsstrategie, um die Situation nicht schlimmer zu machen. Langfristig sollten wir immer versuchen, an der Problemursache zu arbeiten.

Dem Hund etwas zum Kauen oder Lecken zu geben, ist ein wunderbares Mittel, um beim Hund Stress abzubauen. Ob ein Kauknochen oder ein Kong mit eingefrorener Banane (oder was der Hund gerne schleckt), eine halbe Stunde kauen und lecken entstresst den Hund sehr gut. Natürlich ist das selten eine optimale Lösung für unterwegs, doch eine leicht umsetzbare Methode, wenn man wieder zu Hause angekommen ist.

Zerrspiele und Co. können Stress abbauen

Zerrspiele, Bewegung und Suchspiele können den Hund wieder ein bisschen runterholen, wenn der Hund auf dem Spaziergang zu viel Stress aufgebaut hat. Wichtig dabei ist, dass man den Hund nicht noch weiter aufputscht. Auf eine kontrollierte Ausführung der Bewegung ist auf jeden Fall zu achten, sonst erzielt man eventuell den gegenteiligen Effekt. Balou beispielsweise hilft ein kontrolliertes Zerrspiel für ca. eine Minute enorm weiter. Bei dieser Methode ist man allerdings darauf angewiesen, dass der Hund auch Lust auf diese Form von Stressabbau hat. Zwingen können wir unsere Hunde dazu nicht.

Stress-bei-HundenKörperkontakt, ruhiges Reden und eine kleine Massage lassen den Hund das Beziehungs- und Bindungshormon Oxytocin ausschütten. Oxytocin ist ein wahrer Held im Bereich Stressbewältigung. Jeder von uns kennt den Wohlfühleffekt einer Umarmung, wenn es uns schlecht geht. Diesen Effekt können wir ebenso beim Hund erzielen. Aber: Bitte den Hund nicht einfach ungestüm umarmen. Es kommt darauf an, dass der Hund die Berührung auch als positiv empfindet. Eine gute Mensch-Hund-Beziehung und viele Trockenübungen können helfen, den Hund mit der „Umarmung“ bekannt zu machen.

Das Stichwort „konditionierte Entspannung“ sollten wir auf jeden Fall noch in die Liste aufnehmen. Konditionierte Entspannung ist ein Ritual, das man aufbaut, um gezielt in einer Situation Oxytocin ausschütten zu lassen, zum Beispiel durch ein Markerwort, ein Geräusch oder einen Duft. Hierzu gibt es zahlreiche Anleitungen im Internet.

Ganz gleich, was unseren Hunden in einer Situation hilft. Wir als Hundehalter müssen uns erst einmal für das Ausdrucksverhaltens unserer Vierbeiner sensibilisieren, um mögliche stressanzeigende Verhaltensweisen zu erkennen. Nur, wenn wir diese Voraussetzung erfüllen, können wir unserem besten Freund in einer stressigen Zeit helfen.

 


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